[via Kollege] Which side of the road do they drive on?

mindestens. Heute war ein ehemaliger Klassenkamerad bei uns. Wir hatten uns ewig, eigentlich seit der 8. Klasse nicht mehr gesehen. Trotzdem waren wir sofort gleich bei den aktuellen Ereignissen. Und wie es sich ergab, er ist Sportschütze. Er bestätigte in gewisser Weise die Bemerkung eines Kriminalisten, daß insbesondere in Ostdeutschland Vereine als reine Waffenbeschaffungsvereine gegründet werden. Er kenne solche Vereine. Die Intention in seinem derzeitigen Verein verweigere sich auch dem Bild vom typischen Schützenverein und beschränke sich auf das Schießen und die Gemeinschaft, man habe bei ihnen keinen Bock auf die Umzüge und den ganzen Mummenschanz mit Trachten und Böllerschießen. Soweit nachvollziehbar. Problematisch sei die Mitgliederauswahl, wenn ein an sich ruhiger Geselle seinen ochsigen Sohn mitbringe, könne man den schlecht wegtreten lassen. Zitat "Wenn 10 Leute zusammen sind, hast du immer einen Ochsen dabei." Viele Mitglieder kämen direkt von der Polizei, sie übten hier mit ihrer Dienstwaffe, da sie sonst nur im Halbjahr 2*6 Schuß abgeben würden. Nur Offiziere hätten öfter Training, die würden es hinter ihrem Schreibtisch aber seltener brauchen. Die Schieß-Wettbewerbe mit Polizeimannschaften würden regelmäßig von den Sportschützen gewonnen. Interessante Art von Gewaltmonopol des Staates. Irgendwie erschreckend, wie Strukturen in diesem Land, die nicht mal sonderlich versteckt wurden, erst durch so ein Schlaglicht offensichtlich werden. Nach langer Zeit frage ich mich nun wieder, was ich noch alles nicht zur Kenntnis genommen habe in dieser Gesellschaft. Dabei glaubte man sich doch zunächst von Betriebsblindheit frei.

Irgendwie habe ich die Waffenparanoia der DDR (Angst des Staates vor bewaffneten Bürgern) auf die Bundesrepublik projeziert, während so mancher ehemaliger DDR-Bürger pragmatisch die laxe Realpolitik beim Wort nahm, verschärft durch den grauen und schwarzen Waffen-Markt nach der Wende, als viele Russen ihre Kalaschnikows und Makarows für Westknete verscheuerten. Das der neue Staat diese Waffen, zumindest die Pistolen, über den beschriebenen Weg noch legalisieren würde, ist mehr als ein Treppenwitz der Geschichte.

Seit Freitag steht mal wieder die Betroffenheit auf dem Plan, und die sehr konkreten Vorschläge der Politiker versprechen nichts Gutes. Die Erfahrungen nach dem Mord in Meißen und der auswertung der Pisa-Studie zeigen, daß man gewillt ist, das Thema wieder geschickt zu zerfasern, so daß es sich im alltäglichem Hickhack zwischen den vielen anderen ungelösten Problemen auflöst. Die Lehrer sind die ersten, die auf der Strecke bleiben. Ja, die betroffenen Kinder sind sicherlich traumatisiert und benötigen alle Hilfe. Aber schon die Kinder in den anderen Schulen sind weniger betroffen, sie wissen, wer das Ziel war. Die Lehrer hingegen werden kaum erwähnt, man erwartet und fordert sie durch die Schulbehörden dazu auf, in die Klassen zu gehen und mit den Kindern zu reden. Wer redet mit ihnen? Sie waren das Ziel, und sie können es sehr bald, wie die Ereignisse in den USA nach den dortigen Massakern zeigen, sehr bald durch Nachahmungstäter wieder werden. Und schon kommen auch gleich wieder die Forderungen, Kritiken und Schmähungen wieder. Kaum einer würde in dem hier üblichen Ton so mit Ärzten, Rechtsanwälten oder gar seinem Autoschlosser reden. Kaum einer würde es wagen, den Polizisten solche Schmähungen um die Ohren zu hauen, nachdem einer der ihren ins Feuer gelaufen ist. Jeder kann Kinder machen, also kann jeder erziehen und lehren. Für einen Diskussionsbeitrag zum Sofa-Artikel von Praschl ist mein Herz zu voll. Wir erleben auch einiges mit unserer Großen an ihrem Gymnasium. Zugleich ist meine Frau Lehrerin an einem anderen Gymnasium. Sie hat das letzte halbe Jahr faktisch jeden Abend mit Eltern telefoniert, weil Schüler regelmäßig schwänzten und sich mit einer bewundernswerten Blödheit ihre Zensuren in den Keller gearbeitet haben. Das Problem ist doch, daß heutzutage ewig mit den Schülern geredet wird, ihnen immer wieder Hilfestellungen gegeben werden, bis die Schüler glauben, das das ja die Pflicht der Gesellschaft ist, bis hin zu dem Irrglauben, die Gesellschaft, also immer die anderen, müßten sie auch durchs Ziel tragen. Wenn dann aber einmal Schluß ist, und es wurde immer wieder gewarnt, aber man glaubt es ja nicht, bevor es einem dann wirklich passiert, ja, dann sind natürlich die anderen Schuld. Wer glaubt denn wirklich, das diesem 19 jährigen Schüler keine Hilfe angeboten wurde, wer glaubt denn, das er einfach so ins Nichts gestossen worden ist ohne Vorwarnung? Die Erziehung zur Unverantwortlichkeit, ja diesen Vorwurf kann man machen, aber nicht den der herzlosen Härte, wer das glaubt, war lange nicht mehr in der Schule.